Ich steige aus - warum ich WhatsApp nach 3 Jahren gelöscht habe

Update vom 15.10.2018: Ungefähr 20 Leute nutzen nun mit mir Signal. In letzter Zeit ist "nutzen" aber ein unpassendes Wort geworden, da mir mehrere Leute berichten, dass die Nachrichten nicht durchgestochen werden, will sagen, es erscheint keine Benachrichtigung auf dem Telefon. Das erfüllt nun nicht ganz den Sinn eines Messengerdienstes...

Update vom 27.06.2018: Meine Messengerkontakte belaufen sich nun auf 13. Ein harmloser Einstieg in Unit 5 - The Media - in einer 6. Klasse hat allerdings spontan dazu geführt, dass sich etwa die halbe Klasse Signal installiert hat und davon bisher ganz angetan ist. 

Du bist seit einer halben Woche nicht mehr bei WhatsApp. Was hat sich für Dich verändert?

Meine Messengerkontakte belaufen sich aktuell auf 6 statt 56, sodass ich weniger Leute über diesen Weg erreiche. Ich habe mich durch eine Menge Nutzungsbedingungen, Vergleichsartikel und Gerichtsurteile gelesen und ärgere mich, dass ich mich so lange wider besseren Wissens habe von der Masse treiben lassen. Der Wegfall meiner gewohnheitsmäßigen Nutzung von WhatsApp ist ein Anlass nachzudenken, was so ein Messenger beim Nutzer auslöst - das Suchtpotential ist schließlich bei allen gleich - und ob es nicht ein Mehr an Lebensqualität bedeutet, darauf zu verzichten. Statt den Tagesstatus meiner Nachbarin zu kommentieren, spreche ich lieber direkt mit ihr. Statt alle Aktivitäten meines Sohnes sofort zu teilen, kann ich ihn selbst erzählen lassen - oft huschte ein trauriger Schatten über sein kleines leuchtendes Gesicht, wenn der Gesprächspartner mit „Weiß ich schon“ auf etwas antwortete, was der kleine Mensch als eigene Neuigkeit verkünden wollte, oder wenn er sich große Mühe gab, einen Gegenstand anschaulich zu beschreiben, der Gesprächspartner aber unterbrach, weil er bereits ein Bild kannte. 

 

Wie haben Deine Freunde und Bekannten reagiert?

Einige waren sofort bereit, einen alternativen Messenger mit mir zu testen, andere lehnen WhatsApp ebenfalls ab und nutzen bereits einen anderen Messenger, mit dem sie zufrieden sind oder sehen aufgrund generell niedriger digitaler Kommunikationsrate nicht die Notwendigkeit, für sich einen Messenger zu installieren. Einer war vor mir da. Manche haben gerade nicht den Kopf frei, sich mit einer neuen App zu beschäftigen, einer hat sich über meinen Wechsel lustig gemacht. Ein anderer war völlig entsetzt über Zitate aus den WhatsApp-Bedingungen. Mein irischer Freund ist von der Qualität der Anruffunktion begeistert. Viele reagieren verständnisvoll und interessiert, da sie selbst Vorbehalte gegen den Datentransfer haben, verweisen aber darauf, dass „alle anderen“ WhatsApp nutzen und man wichtige Informationen verpasst, wenn man seinen Account löscht - die Kindergartengruppe, die Jugendfeuerwehr, der Fußballclub …

 

Wie gehst Du mit dem Einwand um, wichtige Informationen zu verpassen?

Bisher hatte ich nicht den Eindruck, dass WhatsApp zur Vermittlung wichtiger Informationen unbedingt erforderlich wäre. Es ist nur ein Weg unter vielen. Bei Gruppen, die sich derzeit ausschließlich über WhatsApp organisieren, werde ich zunächst selbst aktiv Informationen einholen. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass sich wichtige Dinge ohnehin herumsprechen - manchmal trifft man die Gruppenmitglieder tatsächlich @RL - und man so auf dem Laufenden bleibt.

 

Was war für Dich der Hauptgrund zu wechseln?

Mir war nie ganz wohl bei der Nutzung von WhatsApp, obwohl ich an Unterhaltungen per Messenger großen Spaß habe. Facebook bin ich nie beigetreten, weil dieses u.a. die Rechte an allen dort geposteten Bildern und sonstigen Dateien übernimmt. Das gestatte ich nicht. Bei WhatsApp ist es nun laut deren „Datenschutzbestimmungen“ dasselbe - zunächst klingt alles nach Ende-zu-Ende verschlüsselt, liest man jedoch weiter, gibt es offenbar zahlreiche Ausnahmen. Für alle hochgeladenen Medien erteile ich WhatsApp eine „weltweite, nicht-exklusive, gebührenfreie, unterlizenzierbare und übertragbare Lizenz“. Zudem möchte ich mich nicht länger strafbar machen - WhatsApp überträgt alle Telefonbuchdaten unverschlüsselt auf nicht nur amerikanische Server und teilt sie mit Facebook, zu dem es gehört. Laut einem Urteil des Amtsgerichtes Bad Hersfeld aus dem vergangenen Jahr begeht man damit eine „deliktische Handlung“, wenn die Kontakte sich nicht schriftlich damit einverstanden erklären. Mindestens drei meiner Kontakte widersprechen dieser Datenweitergabe ausdrücklich.

 

 

 

Wirst Du WhatsApp erneut nutzen?

Nein, auf gar keinen Fall.

 

Du hast Dich für den Messenger Signal entschieden. Warum gerade für diesen?

Nachdem ich mich ausgiebig mit Telegram, Threema, WhatsApp, Hoccer und Signal sowie weniger ausgiebig mit Wire, Hangouts und kik beschäftigt habe, passt Signal am besten zu meinen Ansprüchen und meinem Nutzerverhalten. Zwar ist auch dieser Messenger telefonnummernbasiert, doch werden diese nur als mathematischer Fingerabdruck auf den Server übertragen. Die Chats sind standardmäßig verschlüsselt - übrigens haben die meisten Messenger, so auch WhatsApp, die Verschlüsselungstechnik von OpenWhisperSystems, der Entwicklerfirma hinter Signal, übernommen - , anders als etwa bei Telegram, wo man verschlüsselte Chats extra einstellen muss. Eine Datenweitergabe erfolgt nicht (mit der Ausnahme „when legally required“). Insgesamt passen die Datenschutzbestimmungen auf weniger als eine DIN-A-4-Seite, wobei kritisch anzumerken ist, dass ein Link zu ihnen auf der Homepage offenbar fehlt. Hinter Signal steht seit kurzem die Signal Foundation, die sich der Meinungs- und Pressefreiheit verschrieben hat. Es ist nichtkommerziell und spendenfinanziert, den größten Teil der finanziellen Mittel bezog der Dienst bisher von der „Freedom of the Press“- Foundation. Gerade hat Brian Acton Signal 50 Mio. Dollar zu Verfügung gestellt. Brian wer? Brian Acton war einer der Mitbegründer von WhatsApp, hat das Unternehmen aber im letzten Herbst verlassen, da er mit dessen Geschäftsmodell nicht mehr einverstanden ist und sich - offensichtlich bekehrt - jetzt um den Datenschutz verdient machen möchte. Derzeit ruft er zur Abkehr von Facebook auf. Ein prominenter überzeugter Signal-Nutzer ist Edward Snowden. 

Telegram kommt für mich überhaupt nicht infrage, da es so aussieht wie das Modell Facebook und WhatsApp, nur auf russisch. Der Serverstandort konnte bisher nicht herausgefunden werden. Außerdem steht in den Nutzungsbedingungen, man lösche alles außer Katzenbildern: „Everything you delete is deleted forever. Except for cats. We never delete your funny cat pictures, we love them too much.“ Das mag zwar ganz witzig sein, gehört aber nicht in die Datenschutzrichtlinie eines seriösen Anbieters.  Übrigens: SMS sind generell unverschlüsselt und können vom Telefonanbieter mitgelesen werden.

 

Welche Unterschiede in der Nutzung gibt es?

Wenige. Alle kommunikativ wichtigen Funktionen, die von WhatsApp bekannt sind, bietet Signal ebenfalls. Man kann keine Statusmeldung posten und Gruppen haben keinen Administrator, das heißt, man kann Mitglieder nicht entfernen oder die ganze Gruppe für alle löschen, sondern diese nur selbst verlassen. Aufgrund von Kontakten im Ausland ist mir die Anruffunktion besonders wichtig, und da schlägt Signal WhatsApp um Längen, was die Gesprächsqualität angeht.

Insgesamt hat Signal weniger Mobbing- und Stalkingfunktionen. Neben der erwähnten Gruppenfunktionsweise ist weder ein Onlinestatus noch „schreibt…“ sichtbar. Leider gibt es bei Signal keine Broadcasts.

 

Wer garantiert Dir, dass Signal nicht in einen Datenskandal verwickelt oder verkauft wird?

Das kann leider niemand auf Dauer garantieren. Derzeit vertritt Signal jedoch glaubhaft den Anspruch, für Meinungs- und Pressefreiheit zu stehen, was angesichts der globalen Nachrichtenlage zunehmend an Bedeutung gewinnt.

 

Wem empfiehlst Du Signal?

Allen, die gerne per Messenger chatten und multimediale Inhalte teilen möchten, ohne ihre Nutzungsdaten dabei an Facebook zu verschenken. Allen, die kostenfreie Auslandsgespräche führen möchten. Allen, die die Persönlichkeitsrechte ihrer Freunde und Bekannten sowie geltendes Recht ernstnehmen. Allen, die ihre Kinder schützen möchten. Allen, denen ihre Freiheit und ihr Urheberrecht wichtig sind. Allen, die selbstbestimmt leben möchten und den Mut zu eigenen Entscheidungen haben. 

 

 

Quellen:

 

http://www.chip.de/news/Die-besten-Messenger-Das-sind-die-besten-Alternativen-zu-WhatsApp-und-Facebook_118989233.html

http://www.chip.de/news/WhatsApp-Gruender-raet-Loescht-euer-Facebook-Konto_136206248.html

https://core.telegram.org/api/terms-of-use

http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/whatsapp-ja-ich-lebe-ohne-den-messenger-15163683.html

https://freedom.press

http://www.handelsblatt.com/unternehmen/it-medien/brian-acton-whatsapp-mitgruender-empfiehlt-loescht-facebook/21095986.html

https://hoccer.com/de/

https://motherboard.vice.com/de/article/7xea4z/hacker-erklaren-welche-messenger-app-am-sichersten-ist

http://www.newsweek.com/bad-news-fbi-edward-snowdens-favorite-chat-app-signal-just-got-50m-funding-816035

https://signal.org

https://signal.org/signal/privacy/

http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/messenger-signal-whatsapp-mitgruender-investiert-50-millionen-dollar-a-1194806.html

https://telegram.org

https://telegram.org/privacy

https://threema.ch/de

https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/digitale-welt/datenschutz/whatsappalternativen-die-datenschutzregeln-im-ueberblick-13055

https://www.whatsapp.com/legal/?l=de#privacy-policy-law-and-protection

https://www.whatsapp.com/legal/?l=de#ip-policy

https://www.whatsapp.com/legal/?l=de#terms-of-service

https://de.wikipedia.org/wiki/Signal_(Messenger)

https://www.wired.com/story/signal-foundation-whatsapp-brian-acton/

 

 

Daniela Görke, 28.03.2018